Die Vorreiterrolle übernehmen
18. Juni 2020

Mit Teamgeist und starkem Konzept:
Die AOK-Nordseeklinik auf Amrum öffnet bundesweit als erste Mutter-Kind-Klinik° wieder die Tore

 

 

Es war kein leichtes Unterfangen. „Wir befanden uns in einer Situation, wie wir sie nie zuvor hatten“, sagt Philipp Joroch, Mitglied des Klinikdirektoriums der AOK-Nordseeklinik auf Amrum. Doch als der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein grünes Licht für die Wiedereröffnung der Kurkliniken gab, war die Klinik in Norddorf bereits vorbereitet. 100 Frauen durften mit ihren Kindern nach der langen Corona-Pause zum 18. Mai 2020 wieder anreisen.

Wie in allen Kurkliniken Deutschlands hatte man sich auch auf Amrum Sorgen gemacht, wie es unter diesen Umständen weitergehen könnte. Das Virus Covid-19 bestimmte schon seit Wochen die Schlagzeilen und das Leben in Deutschland. Für viele Menschen hatte sich der Alltag grundlegend gewandelt. Von den Einschränkungen und Maßnahmen besonders stark betroffen waren und sind die berufstätigen Mütter.

„Ich habe immer an die Mutter-Kind-Maßnahme geglaubt“, sagt die Leitende Ärztin der AOK-Nordseeklinik Berit Mehmen. „Sie ist ohnehin ein unterschätzter Aspekt im Gesundheitswesen. Doch jetzt ist diese Kur noch wichtiger. Die Frauen sind schon ohne Corona in großen Nöten, familiär, sozial, jetzt zusätzlich auch finanziell. Sie sind im Homeoffice, müssen gleichzeitig die Kinder betreuen, haben vielleicht noch einen sucht- oder alkoholkranken Mann. Viele empfinden die häusliche Situation als extrem belastend.“ Deshalb war sie dafür, die Klinik so bald wie möglich wieder zu öffnen. „Es ist eine sehr große Chance, jetzt präventiv zu arbeiten und die Folgeschäden durch die Corona-Einschränkungen bei Müttern und Kindern zu minimieren, ob bei Angststörungen, psychosomatischen Erkrankungen oder um ihnen einen besseren Umgang mit Stresssituationen zu zeigen.“

Der Versorgungsbedarf ist enorm

Für die Unternehmensgruppe REHASAN, deren Partnerklinik die AOK-Nordseeklinik ist, war von Anfang an klar, dass die Versorgung der Mütter frühestmöglich weitergehen muss. „Das ist unsere Aufgabe“, sagt Geschäftsführer Frank Roschewsky, „auch wenn es kein leichter Schritt ist. Denn, durch den gesetzlichen Rettungsschirm kann ein wirtschaftlicher Fehlanreiz entstehen.“ Die Finanzhilfen und das Kurzarbeitergeld unterstützten zwar in der Schließungsphase der Kliniken, doch die Wiedereröffnung wird finanziell sanktioniert. Die coronabedingten Mehraufwendungen des Klinikbetriebs werden bislang nicht erstattet. „Das tut weh, weil ein umfassender Infektionsschutz nach professionellem Hygienekonzept teuer ist.“

Roschewsky hat trotzdem kein Verständnis dafür, die weitere Entwicklung erst einmal abzuwarten und die betrieblichen und wirtschaftlichen Risiken möglichst lange meiden zu wollen. Für REHASAN stand eine schnelle Wiedereröffnung ihrer Mutter-Kind-Kliniken unter Berücksichtigung aller Auflagen an erster Stelle, denn der Versorgungsbedarf sei enorm, so Roschewsky. Ein Neustart sei für die Patientinnen und Patienten, aber auch für die Mitarbeitenden gerade jetzt sehr wichtig.

„Wir haben eine dreifache Verantwortung“

Also bereitete die Amrumer AOK-Nordseeklinik sich von Anfang an auf die Wiedereröffnung vor. Intensiv arbeitete das Klinikdirektorium, Anja Jensen, Berit Mehmen und Philipp Joroch, zusammen mit einer Krankenhaushygienikerin einen feinteiligen Hygiene- und Kurplan aus.

Sie besorgten ausreichend Mundschutz, stellten an jedem Hauseingang Desinfektionsmittelspender auf, bereiteten die Appartements entsprechend für die Familien vor, planten Covid-19-Tests für die Patientinnen und Patienten, schulten die Mitarbeitenden und sperrten eins ihrer 16 Häuser ganz. Dort bereiteten sie alles vor für den Fall, dass jemand in Quarantäne gehen müsste. Selbst der Bürgermeister von Norddorf war bei einem Besuch beeindruckt.

„Wir wollten ihm zeigen, wie wir uns absichern“, sagt Philipp Joroch. „Denn wir haben eine dreifache Verantwortung: für unsere Patientinnen und Patienten, für unsere Mitarbeitenden und für die Inselbevölkerung. Sie sollten wissen, dass wir alles nur Mögliche tun, um sie zu schützen. Zusammen mit unseren Mitarbeitenden hatten wir binnen einer Woche ein gutes Konzept auf die Beine gestellt. Das ganze Team hat sich dabei sehr hilfreich eingebracht.“

Die erste „Corona-Kur“ war ein voller Erfolg

Und so konnte am 18. Mai 2020 eine erste Kur beginnen, wenn auch nur für eine geringere Anzahl von Müttern als sonst üblich. Die aber waren glücklich, dass sie trotz allem eine Kur antreten durften. Es war wie bei einer Generalprobe im Theater: Alle waren gespannt, wie diese erste Kur verlaufen würde, wie die Patientinnen und Patienten sie annehmen würden. Berit Mehmen konnte in der ersten Woche kaum schlafen, sagt sie. Und, wie es sich für eine anständige Generalprobe gehört: Es gab hier und da noch ein paar kleine Stellen, an denen schnell nachgebessert werden konnte. Doch das Konzept bewährte sich. Die erste „Corona-Kur“ war ein voller Erfolg, sagen auch die Patientinnen und Patienten.

Melanie Winkler* hatte die Kur aufgrund eines mütterlichen Erschöpfungssyndroms beantragt. Sie hatte Schlafschwierigkeiten, war schnell gereizt, auch den beiden 4- und 8-jährigen Töchtern gegenüber. Eigentlich sei sie ein ruhiger Mensch, sagt sie, aber durch die Corona-Einschränkungen war sie viel angespannter als sonst: „Wir gingen uns zu Hause irgendwann alle auf die Nerven.“ In der Kur wurden ihr noch dazu ein fast ausgerenkter Nackenwirbel und eine generelle Fehlhaltung diagnostiziert. Höchste Zeit also, zur Ruhe zu kommen und sich einmal nur um sich selbst zu kümmern. Es war ihre zweite Kur auf Amrum, und obwohl sie in der ersten Kur das „volle Programm“ bekommen hatte, also einen ganz normalen Kurablauf, war sie begeistert von ihrer „Corona-Kur“:

„Mein Kurplan gefiel mir sehr gut“, sagt sie. „Ich wusste, dass wir natürlich momentan nicht alles machen durften, aber ich konnte viel mehr machen als ich gedacht hatte. Ich hatte ganz unterschiedliche Therapien, konnte einiges neu kennenlernen und hatte dennoch ausreichend Zeit für meine Kinder. Wir haben viel zusammengespielt und Radtouren gemacht. Und beim Achtsamkeitsspaziergang habe ich auf einmal gemerkt: Jetzt bin ich angekommen, jetzt bin ich ruhig. Das fand ich richtig schön!“ Auch das geänderte Essensprogramm gefiel ihr. „Wenn ich mit meiner älteren Tochter während meiner ersten Kur unterwegs war, mussten wir uns abhetzen, um noch rechtzeitig zum Mittagessen wieder in der Klinik zu sein“, sagt sie. „Jetzt gab es eine Lunchbox zum Mitnehmen, und das warme Essen gab es abends. Das war für uns viel entspannter. Und man hat gemerkt, dass das ganze Team an einem Strang gezogen und sich gefreut hat, dass es wieder losging.“

„Diese Vorsorge ist auch gut für das Gesundheitssystem“

Nicole Schmitt* ist in Vollzeit berufstätig. Sie hat nur wenig Zeit für ihren 3-jährigen Sohn, und dann ist da ja noch der Haushalt. Sie wollte in der Kur lernen, wie sie besser mit Stress umgehen und sich entspannen kann. „Für mich war es toll“, sagt sie, „ich habe mich gar nicht eingeschränkt gefühlt. Ich hatte ausreichend Zeit für mich, aber auch ausreichend Zeit für meinen Sohn. Und ich habe sehr viel aus der Kur mitgenommen. Nordic Walking war sehr cool, das ist was für mich! Meditation will ich auch weitermachen. Die Kur war einfach toll. Und die Nähe zu dem wunderschönen Strand ist natürlich unbeschreiblich.“ Auf der Heimfahrt fragte ihr Sohn sie dann auch: „Gehen wir gleich noch an den Strand?“ Und es tat ihr richtig leid sagen zu müssen: „Nein, wir sind fast schon zu Hause.“ Die „Corona-Kur“ war ihre erste Kur überhaupt, sagt sie, und ganz sicher nicht ihre letzte.

Beide Frauen sind sich einig, dass es gerade für Mütter eine solche Kur weiterhin geben muss. „Es ist sehr wichtig, dass man mal die Zeit für sich hat“, sagt Melanie Winkler, „dass man Hilfestellung bei vielen Fragen bekommt und lernt, besser auf sich selbst zu achten.“ „Und es ist wichtig als Vorsorge“, sagt Nicole Schmitt. „Das ist doch auch gut für das Gesundheitssystem.“

„Es war richtig, die Klinik wieder zu öffnen“

Für das Klinikdirektorium der AOK-Nordseeklinik hat sich die viele Vorarbeit gelohnt. „Die geringere Belegung macht natürlich die Ausfälle nicht wett“, sagt Philipp Joroch, „aber es war richtig, die Klinik wieder zu öffnen. Wir hatten keine positiven Abstriche, und wir hatten lauter zufriedene Familien bei uns.“

Auch die Ärztin Berit Mehmen ist überzeugt, dass die Öffnung richtig war. „Wir hatten die Familien vorgewarnt, dass die Aufnahme nicht mehr im medizinischen Trakt, sondern bei ihnen im Appartement vorgenommen werden würde. Und dass wir sie mit Kittel und Mundschutz besuchen würden. Das Schöne war, dass es so für alle Beteiligten eine wesentlich entspanntere Aufnahme war. Wir bekamen einen viel gründlicheren Einblick in die Mutter-Kind-Situation, hatten viel intensivere Gespräche. Ich vermisse zwar, dass man das Lächeln sehen kann, aber man sieht es ja auch an den Augen.“

Die Geschäftsführung der Unternehmensgruppe REHASAN sieht die Wiedereröffnung ebenfalls positiv. „Unser Anspruch war es, unter Beachtung des größtmöglichen Infektionsschutzes die Versorgung wieder bestmöglich aufzunehmen“, sagt Frank Roschewsky. „Das Team der AOK-Nordseeklinik hat eindrucksvoll bewiesen, wie dieser Anspruch erfolgreich umgesetzt werden kann.“

Und Berit Mehmen kann nun auch wieder ruhig schlafen.

 

Köln, im Juni 2020

 

° Das Angebot von Mutter-Kind-Maßnahmen im Sinne des SGB V richtet sich auch an Väter. Zur besseren Lesbarkeit sind im Text jedoch nur Mütter genannt.
* Name von der Redaktion geändert.